Dauer: ca. 55 min ; Ort: Hochhaus der Kaiserallee 15, Karlsruhe
Sommersemester Sommersemester 2019
Betreuung:
Prof. Andreas Müller, Thomas Rustemeyer
Studierende/r:
Veronika Scharbert, Bruno Jacoby
Der HOCHHAUS Audiowalk führt die Teilnehmer*innen an spezifische Orte des Hochhauses der Kaiserallee 15 in Karlsruhe und lässt das Gebäude zum Hauptakteur werden. In neun Audiotracks werden collageartig Texte aus verschiedenen Perspektiven verarbeitet. Die selbst in betreffendem Hochhaus lebende Künstlerin kombiniert sowohl ihre eigenen Beobachtungen innerhalb des Hochhausterrains als auch die von anderen Bewohner*innen mit Zitaten aus einer historischen Werbebroschüre für den Wohnkomplex, mit Originaltönen aus einem Interview mit dem Hausmeister, der sich schon seit der Fertigstellung um das Gebäude kümmert, und mit Auszügen aus J.G. Ballards Roman Hochhaus aus dem Jahre 1975. Die Tracks sind mit ausgewählten Kapitelüberschriften aus dem Roman betitelt. Sie leiten die Erzählung und bezeichnen die Orte, an die die Audiowalkteilnehmer*innen von einer Erzählstimme mit verbalen Anweisungen geführt werden. Durch die Mischung von fiktionalem, dokumentarischem und originär geschaffenem Material entstehen vier Text- sowie verschiedene Zeitebenen: Die des Hochhausbaus, jene des Romans und die Ebene der Gegenwart. Sie verflechten sich zunehmend, wobei der Hausmeister als (reale) Figur und Interviewpartner zwischen diesen Zeiten steht und als Bindeglied funktioniert. Das Gehörte wird durch die visuelle Wahrnehmung der Audiowalkteilnehmer*innen, die alleine dem Aufstieg eines Protagonisten aus dem Roman in die oberen Etagen des Betonriesen folgen, ergänzt. Abgespielt wird der Audiotext über einen handlichen MP3-Player und Kopfhörer.
Der Romantext stammt aus der Zeit des Betonhochhausbooms der siebziger Jahre. Das ist auch die Zeit, in der der Hausmeister der Kaiseralle 15 eine neue Arbeit fand und aus dem Einfamilienhaus in Bayern in das Hochhaus zog, das er nie mehr verlassen sollte. Aus dem Roman entnommen sind bestimmte Figuren, spezifische Hochhausbewohner, die die Teilnehmer*innen auf ihrem Weg durch das Gebäude begleiten und deren Rolle sie immer wieder durch ihre physische Präsenz am Ort einnehmen können. Dem gegenübergestellt sind die Berichte des Hausmeisters und die Beobachtungstexte. Die von Ballard erdachte Extreme, in der das Hochhausleben in völliger Abschottung im Chaos anarchistischer Zustände endet, überlagern sich mit den Aussagen des Hausmeisters. Die Interviewaussagen in Verbindung mit den anderen Textebenen schaffen einerseits Diskrepanzen, andererseits aber auch eine Verbindung zwischen Fiktion und Realität. Das akustische Konzept umfasst nicht nur die gesprochenen und gelesenen Texte sowie die Atmo-Aufnahmen aus dem Haus und seiner Umgebung. Auch musikalische Einschübe unterstützen das Klangkonzept. Vollständig realisiert dieses sich aber erst in der Durchmischung der Klänge aus dem Kopfhörer mit den real vor Ort präsenten akustischen Ereignissen. Die Teilnehmer*innen erleben es in Verbindung mit ihren eigenen Handlungen und den vielfältigen Sinneseindrücken aus ihrer körperlichen Präsenz.
Die Texte funktionieren ortsspezifisch, ob im Untergeschoss beim Notausgang, wo das Draußen nur durch eine Gittertür abgehalten wird, im außenliegenden Treppenhaus des Gebäudes, das den Tauben als Zuhause dient, oder am Brunnen im Innenhof. Der Audiotext gibt die Handlungen und den Weg vor. Die Titel der Tracks sind als Schriftzüge sichtbar an den Orten angebracht und geben das Signal zum Weiterschalten der Tracks. Zudem erweitern sie das auditive Element an den visuellen Ort. Sie greifen von außen in den bestehenden Raum, beschreiben den Ort, verändern ihn und transportieren das Erzählte aus der Buchvorlage in die reale Umgebung in Form von Schrift. Die sichtbaren Titel gehen einerseits mit dem Gehörten, andererseits in Zusammenhang mit der Umgebung eine Symbiose ein.
Die Haltung der Teilnehmer*innen ist partizipativ. Sie folgen den Anweisungen des Audiowalks und werden dadurch direkt in die Texte miteinbezogen. Die in den Text eingeflossenen Beobachtungen mischen sich mit den Beobachtungen der Teilnehmer*innen während des Walks, sie überlagern sich und werden so zu einer individuellen Erfahrung der Partizipierenden. Auch die Bewohner*innen sind Akteure, die den Teilnehmer*innen auf ihrem Weg begegnen oder die sie beobachten. Die spezifische Ortswahl und die Texte, wonach die Teile des Audiowalks zu einem Erzählstrang entwickelt wurden, schränken die Teilnehmer*innen in ihrer Freiheit am Ort ein, sofern sie sich den akustischen Anweisungen nicht aktiv widersetzen. Sie können immer nur so weit vordringen, wie es die Stimme erlaubt und sind somit dem Tempo und Rhythmus der Geschichte unterworfen, denen die allmähliche Entwicklung in Ballards Roman zu Grunde liegt. Der Raum und die Erzählung werden so Schritt für Schritt eröffnet. Betritt man den von der Straße entfernten innen liegenden Hof, findet man sich offiziell auf einem Privatgelände wieder. Die Audiowalkteilnehmer*innen überschreiten diese Schwelle und finden Orte zwischen Außen und Innen, zwischen öffentlich und privat.
Sicherlich ist das Hochhaus der Kaiserallee 15 keine Wohnmaschine im Sinne Le Corbusiers, das alle Versorgungseinrichtungen im Gebäude integriert sieht und auf dessen Konzept sich Ballard beziehen mag. Das Bauprojekt Kaiserallee konzentrierte sich nicht auf eine vollständige Autarkie, sondern auf das Leben in der näheren Umgebung und fungiert als gewöhnliches Wohngebäude für unterschiedliche Menschen. Als Hochhaus ist der Wohnkomplex dennoch einer bestimmten Konnotation ausgesetzt. Viele Menschen auf engem Raum, Abschottung, die Anonymität, Einsamkeit und vielleicht auch die Gefahr, die davon ausgehen könnte, finden Einzug in ein allgemeines Verständnis über das Leben in einem solchen Komplex. Die thematisierten Probleme in Ballards Szenario spiegeln sich teilweise in der Realität des Hochhauslebens der Kaiserallee 15 wider, wie beispielsweise entstandene Brände, ausgefallene Technik oder einzelne Bewohner*innen, die Müll über die Balkons entsorgen. In der Gegenüberstellung dieser Parallelitäten zum Roman mit kleineren beiläufigen Beobachtungen aus der Gegenwart über die Einfachheit und Genügsamkeit des Lebens in der Kaiserallee 15, beispielsweise der Ingangsetzung des Brunnens für den Frühling, wird das Hochhaus im Audiowalk auch in seiner Alltäglichkeit thematisiert. Eher kleinere Dramen als große Zusammenbrüche stehen an der Tagesordnung. Zurückgeholt auf diese Ebene werden die Teilnehmer*innen am Ende des Walks durch das Eintreten in eine Wohnung im 17. OG. des Hochhauses und das Treffen auf deren Bewohner. Man verabschiedet sich von der fiktiven Geschichte, indem man die Kopfhörer ablegt und ins Gespräch kommt. Die Möglichkeit der direkten Konversation mit den Bewohnern gibt den Teilnehmer*innen die Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen sowie Fragen zu stellen und ihnen wird ein Einblick in einen der privatesten Orte im Haus gewährt.
Die Verbindung aller zugespielten und vor Ort erlebten Elemente, die sinnliche Wahrnehmung einzelner Stationen und des Ortes als Ganzes, setzen das Gefüge aus Collagetexten und der Partizipation der Teilnehmer*innen als Akteure, zusammen. Die besuchten Orte verschmelzen mit dem Text zu einer Spielfläche dokumentarischer und fiktiver Erzählung. Auf Basis von Narration und multisensorischen Erfahrungen wird die Vielschichtigkeit des Hochhauses in einer neuen Weise erfahrbar.
Tracks:
01 Eine Wegstrecke
02 Der leere Teich
03 Ein glückliches Arrangement
04 In den Niederungen
05 Körpermusterungen
06 Vorbereitungen für den Auszug
07 Die Raubvögel
08 Gefahr in den Straßen des Himmels
09 Letzter Triumph
Fotos: Andy Koch
Gestaltung Flyer und Schrift Audiowalk: Bruno Jacoby
Sprecher*innen: Andy Koch, Hausmeister der Kaiserallee, Veronika Scharbert
2019
Dauer: ca. 55 min
; Ort: Hochhaus der Kaiserallee 15, Karlsruhe
Sommersemester
Sommersemester 2019
Betreuung:
Prof. Andreas Müller, Thomas Rustemeyer
Studierende/r: