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  • Verschiedene Aufmerksamkeiten – Anmerkungen zum Design von Ausstellungen

  • Verschiedene Aufmerksamkeiten – Anmerkungen zum Design von Ausstellungen

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    Bericht
    2014
    • Antrittsvorlesung von Prof. Andreas Müller zur Semestereröffnung

      Wintersemester 2014/15

    • Ich möchte diesen Vortrag in der Art einer Antrittsvorlesung dafür nutzen, über mein Fachgebiet Ausstellungsdesign zu sprechen und meine Ansätze und Gedanken dazu in der Hochschule vorzustellen. Beginnen möchte ich mit einem Zitat von Lucius Burckhardt, dem Schweizer Planungssoziologen, der sich in einem Text mit dem Titel „Gärten sind Bilder“ folgendermaßen äußert:

      „Man vergisst es oft, denn ihre Darstellungen sind im Maßstab 1:1, aber Gärten sind nicht Wirklichkeit, sondern stellen mögliche Wirklichkeiten dar. Dabei bedienen sie sich seit dem 18. Jahrhundert zweier Sprachen: Der formale, sogenannte französische Garten schlägt Modelle vor, wie sich die vom Menschen geordnete Welt zur chaotischen Umwelt verhalten soll. Der sogenannte englische Landschaftsgarten dagegen behauptet, die Unordnung der Natur sei eine Ordnung, in welcher eine harmonische Gesellschaft leben könne.“

      Lucius Burckhardt hat in zahlreichen Texten Gärten als Gesellschaftsentwürfe beschrieben. Demnach ist die Anlage eines Parks nicht nur realer Raum sondern immer auch ein Dokument eines abstrakten Idealraums, eines entwerferischen Vorgangs, eines Designs, welches die jeweils zeitgenössischen Vorstellungen von Natur und Kultur, sowie der Position des Menschen darin, oder der idealen Form von Gemeinschaft formuliert.

      Ich möchte diese Argumentation gerne auf einen zweiten Typus bürgerlicher öffentlicher Räume übertragen: auf das Museum. Ein Ausstellungsraum wäre demnach ein ebensolcher Gesellschaftsentwurf wie ein Garten, ein utopischer Ort, an dem jeweils zeitgenössische Vorstellungen von Gemeinschaft entworfen, formuliert und zur Verhandlung gestellt werden.

      In diesem Prozess spielt Design eine entscheidende Rolle, denn jede Form von sprachlicher oder bildlicher Erzählung ist auf eine Darstellung angewiesen, die sie artikuliert. Diese Darstellung geschieht im Raum, sie ist eine gestaltete Form der Veräußerung.

      Ich möchte im Folgenden drei klassische Gestaltungselemente von Ausstellungen beschreiben, an denen man diese darstellende und zugleich transformative Eigenschaft nachvollziehen kann: Die Vitrine (am Beispiel einer konkreten Ausstellungssituation), das Displaysystem (am Beispiel eines Handbuchs für Wanderausstellungen) und die Museumsbank (ausgehend von einer literarischen Beschreibung). Jedes dieser Elemente ist als räumlich-physisches Objekt natürlich Gegenstand von Design, es wird entworfen, konstruiert und schließlich installiert. Es folgt den sozialen und kulturellen Konventionen und den technischen Möglichkeiten der jeweiligen Situation. Darüber hinaus stellt jedes dieser Elemente eine je spezifische Beziehung zum Benutzer oder Betrachter her, es schlägt bestimmte Körperhaltungen vor, es verlangt bestimmte Formen von Aufmerksamkeit, es etabliert bestimmte zeitliche Rhythmen, es stellt Beziehungen sowohl zum Exponat als auch zu anderen Betrachtern her und konstruiert so den Erfahrungsraum einer Ausstellung.

      Im Jahr 1924 findet in der belgischen Stadt Gent die „Internationale Ausstellung des Genossenschaftswesens und der sozialen Wohlfahrtspflege“ statt. Hier präsentieren die Genossenschaftsverbände Europas ihre Errungenschaften, es ist eine Werbeveranstaltung der Genossenschaftsbewegung. Für den Schweizer Beitrag ist der Architekt Hannes Meyer zuständig, der spätere Direktor des Bauhaus Dessau. Er gestaltet den Ausstellungsraum folgendermaßen: Den größten Teil des Raums nimmt eine Reihe von 15 kargen Holzbänken ein. Weil sie ohne Lehnen sind, kann man sie in zwei Richtungen verwenden. In der einen Richtung sind sie ausgerichtet auf eine Bühne, in die andere Richtung auf eine große Glasvitrine. Sie hat die gleiche Größe wie das Bühnenportal, ist jedoch horizontal gelagert. Während auf der Bühne Szenen genossenschaftlichen Lebens gespielt werden, zeigt die Vitrine Produkte aus genossenschaftlicher Herstellung und Handel.

      Das „signalrote Terrarium der Genossenschaftsbewegung“, als das Hannes Meyer die Vitrine beschreibt, ist auf den wenigen überlieferten Aufnahmen nur in schwarz-weiß zu sehen. Man erkennt darauf eine präzise konstruierte Landschaft aus verpackten Konsumartikeln: Kartons, Blechdosen, Papiertüten, Konservendosen, Gläser, Flaschen, Rollen, Barren, Säcke. Sie sind zu Türmen oder Blöcken gestapelt, in Reihen gelegt, terrassenförmig abgestuft, diagonal durch den Raum der Vitrine gezogen.

      Die Objekte sind Alltagsprodukte aus genossenschaftlicher Herstellung, gleichzeitig industriell hergestellte Massenartikel. Sie sind nicht einzeln präsentiert, sondern als Teil einer Reihe, wie in einer fortlaufenden Produktion vom Fließband. An den Etiketten erkennt man Kaffee, Kakao, Kokosfett… daran ließe sich aus heutiger Sicht noch eine ganz andere Diskussion festmachen, nämlich die um den kolonialen Ursprung vieler dieser Produkte.

      Im Unterschied zu einer Verkaufsvitrine gibt es hier kein davor und dahinter, keine Position von Käufer und Verkäufer. Die Vitrine ist rundherum offen und behauptet so eine Gleichheit von Produzenten und Konsumenten in der genossenschaftlichen Ökonomie. Die Höhe der Vitrine ist so angelegt, dass sie mit den Sitzbänken korrespondiert, Betrachter sitzen auf gleicher Höhe mit den Exponaten. Der Blick, der sich so ergibt, und der auch in einigen Fotos dokumentiert ist, ist der Blick eines Fußgängers in eine Stadtlandschaft aus Konsumartikeln.

      Friedrich Kiesler, der selbst an der Schnittstelle von kommerziellen und künstlerischen Displays gearbeitet hat, hat einmal seine Schaufensterdisplays für ein Modehaus als Theaterstück beschrieben, in dem Mr. Hat und Mrs. Glove auftreten. Die Objekte in der In der Coop-Vitrine spielen anderes Stück, das von der vollständigen Organisation der Welt nach kooperativen Prinzipien.

      1953 erscheint ein Buch mit dem Titel „Manual of Travelling Exhibitions“, als 5. Band in einer von der UNESCO herausgegebenen Reihe namens „Museums and Monuments“. Die Reihe befasst sich mit zeitgenössischen museologischen Fragestellungen, die noch deutlich von den Zerstörungen des 2. Weltkriegs geprägt sind, es geht um die Rolle von Museen als Orten von Bildung, Erinnerung und kulturellem Erbe. Themen der vorangegangenen Bände sind z.B. die Restaurierung von Gemälden, der Umgang mit Baudenkmälern oder die Behandlung archäologischer Funde.

      Das „Manual of Travelling Exhibitions“ ist ein Manifest einer noch ungebrochenen Moderne der unmittelbaren Nachkriegszeit, es kombiniert den internationalen kulturellen Bildungsanspruch der UNESCO mit dem pädagogischen Impetus der Wanderausstellung, wie er zuvor u.a. am Bauhaus entwickelt und am MoMA professionalisiert und kommerzialisiert wurde. Darin ist eine Grammatik des Ausstellens formuliert – von organisatorischen Fragen bis zum Ausstellungsdesign – die seinerzeit ein hoch ideologisches Projekt war.

      Die Wanderausstellung beruht auf einer Negierung beziehungsweise Neutralisierung des Ausstellungsraums. Sie ist so gestaltet, dass sie in verschiedenen Räumen funktioniert, die zum Zeitpunkt der Gestaltung nicht bekannt sind, und ist daher weitestgehend unabhängig vom Ausstellungsraum. Konsequenterweise spielen darin Displaysysteme eine wichtige Rolle, sie ersetzen die Architektur des Ausstellungsraums und übernehmen die Funktionen von Wand, Boden und Decke. Weil sie transportiert werden müssen, sind sie modular aufgebaut, demontierbar und extrem leicht. Sie beruhen auf einer konstruktiven Trennung von Trägersystem und Ausstellungsinhalt. Das Trägersystem ist modular und prinzipiell endlos erweiterbar. Es kann jede Form von Inhalten aufnehmen, und ist damit ein Vorläufer heutiger Messebausysteme.

      Die Entmaterialisierung der Ausstellungswände zu Displaysystemen führt notwendigerweise zu einer Entkopplung vom Ausstellungsraum, und zu einer Dekontextualisierung der gesamten Ausstellung. D.h. Wanderausstellungen haben nicht von vorneherein einen Bezug zu einem Ort, sie können als universale Kommunikationsform gestaltet werden. Sie sind in sich geschlossene Systeme, die Information in nur eine Richtung transportieren und die sich deshalb hervorragend zum Verbreiten von Ideen und Diskursen eignen.

      Die Wanderausstellung als Massenmedium und als Bildungsinstrument machte dieses Ausstellungsformat für Institutionen wie das MoMA oder die UNESCO interessant, die es intensiv für ihre Zwecke nutzten: Die UNESCO mit dem Ziel eines kulturellen, wissenschaftlichen und pädagogischen Universalismus, das MoMA zur Verbreitung eines modernen Bewusstseins und Lebensstils.

      Im Design der Ausstellung The Whole Earth, die 2012 im Berliner Haus der Kulturen stattfand, haben wir ein solches kommerzielles Messesystem eingesetzt und es modifiziert. Uns hat daran die Frage interessiert, ob man ein solches System inzwischen reflexiv einsetzen kann, ob man mit all seinen Konnotationen von universeller Anwendbarkeit, von neutraler Information, oder von globalen Standards eine Haltung zu den ausgestellten Materialien und künstlerischen Arbeiten einnehmen kann. Das Displaysystem wurde in diesem Fall selbst zu einem Exponat.

      In einem sehr lesenswerten Essay mit dem Titel „Notes from the Museum Bench“ erzählen Diane Fuss und Joel Sanders eine Sozial- und Designgeschichte der Museumsbank. Darin beschreiben sie am Beispiel dieses eher unscheinbaren Möbelstücks, wie dessen räumliche und materielle Gestaltung ganz eng an jeweils korrespondierende Nutzungsvorstellungen des Museumsraums sowie an Subjektentwürfe der Museumsbesucher geknüpft ist. Sie stellen eine große Offenheit der Nutzung des Ausstellungsraums im 19. Jahrhundert fest, die sich nach und nach einschränkt, bis sie im modernen White Cube ganz verschwindet.

      Eine Szene aus „Notes from the Museum Bench“ illustriert dies: Sie spielt sich in Londons National Gallery ab, in den 1830er Jahren, das Museum ist erst seit wenigen Jahren für die Öffentlichkeit zugänglich. Sie beschreibt einen Familienausflug ins Museum an einem Regentag, ähnlich einem Spaziergang im Park, nur eben in überdachten und beheizten Räumen. Dazu gehören spielende Kinder, das kleinste lernt laufen, junge Damen, die die alten Meister kopieren, Herren im Gespräch vertieft oder Zeitung lesend, sogar ein ausgedehntes Picknick auf den Bänken des Museums. Die Kunst an den Wänden ist vielleicht auch ein Grund hierher zu kommen, sicherlich aber nicht der einzige.

      Die Museumsbank des 19. Jahrhunderts ist eine Verwandte der Parkbank, das liegt nahe, ist doch das Museum als öffentlicher Raum des Bürgertums parallel – oftmals sogar in enger Verbindung und räumlicher Nähe – zum Stadtpark entstanden. Parkbank und Museumsbank erfüllen gleiche Funktionen: Zum einen sind sie auf eine Perspektive ausgerichtet – die Parkbank auf eine Besonderheit in der Landschaft, die Museumsbank auf eine arrangierte Landschaft aus Exponaten. Zum anderen bieten beide die Möglichkeit des ‘Sehen und gesehen Werden’ – die Bank ist gleichzeitig Aussichtsplattform und Präsentationsmöbel. Sie steht im Zentrum des Ausstellungsraums und ist auf den Gesamtraum ausgerichtet, nicht auf ein einzelnes Werk.

      Im Gegensatz dazu ist die Museumsbank des modernen White Cube eher eine Verwandte der Kirchenbank. Sie ist in ihrer Funktion extrem reduziert – nämlich auf die Herstellung einer ungestörten, konzentrierten und kontemplativen Gegenüberstellung von Kunstwerk und Betrachter Gestalterisch ist sie auf das dazu Notwendige heruntergesetzt. Nicht zufällig wurde der moderne Ausstellungsraum des White Cube als sakraler Raum beschrieben, in dem sich Betrachter und Kunstwerk im Verhältnis der Anbetung gegenüberstehen. Die Museumsbank des White Cube steht deswegen frontal vor einem Werk, wodurch dieses als besonderes Werk hervorgehoben wird, gleichzeitig aber der Gesamtraum ausgeblendet wird.

      Die Museumsbänke der Moderne sind nicht mehr bequeme, gepolsterte, oder gar beheizte Objekte mit offener Nutzung (von Ausruhen bis Konversation bis Picknick). Ihnen liegt stattdessen eine Idee von fokussierter und ausschließlich visueller Wahrnehmung zugrunde, also von einem Betrachtersubjekt, dessen wichtigstes Organ das Auge ist. Herbert Beyer hat dies in den 1930er Jahren in der bekannten Zeichnung des Augenmanns illustriert, auf dessen Körper anstelle des Kopfes ein übergroßes Sehorgan ruht. Der Körper, der eigentlich nur noch als Untergestell für das Auge dient, trägt lustigerweise einen eleganten Herrenanzug.

      Die Tatsache, dass der moderne Augenmann seine Tätigkeit des Betrachtens aufrecht stehend ausübt, stellt die Sitzbank endgültig in Frage: Das Sitzen ist hier im modernen Ausstellungsraum nicht mehr vorgesehen, das Betrachtersubjekt steht aufrecht. Darin spiegelt sich ein Thema, das in der Moderne von der Psychologie entdeckt und beschrieben wird: Das Phänomen der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist eine Form von Erfahrung, die es notwendig macht, dass wir große Teile unserer unmittelbaren Umgebung aus unserer Wahrnehmung ausschließen. Aufmerksamkeit wurde zu einer Anforderung an den modernen Menschen, sei es in der modernen Industriearbeit, in der Unaufmerksamkeit sogar gefährlich werden konnte. Sei es in der aufkommenden Sprache der Werbung und der visuellen Kommunikation, in der Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist, das ökonomischen Wert hat. Oder eben auch im Betrachten von Kunst, die nun ihrerseits die Aufmerksamkeit der Betrachter beanspruchte.

      Zwischen den vorhin beschriebenen Szenen (des Ausstellungsraums als öffentlichem Raum mit sozialen und kommunikativen Möglichkeiten) und der Publikation von „Inside the White Cube“ liegen etwa 100 Jahre, in denen sich mit veränderten Konzepten von Wahrnehmung, von Öffentlichkeit, von Subjektkonstruktionen, auch das Design der Sitzgelegenheiten radikal gewandelt hat. Die Bank ist dabei sowohl ein Indikator dieser Veränderungen als auch ein Instrument, das sie konkretisiert und erst ermöglicht.

      Um zu meinem Ausgangspunkt zurückzukommen: Ausstellungsräume sind Gesellschaftsentwürfe. Im vorhin genannten Beispiel der Museumsbank kann man soziale und kulturelle Veränderungen in der bürgerlichen Gesellschaft vom 19. zum 20. Jahrhundert nachvollziehen. Die Geschichte der Museumsbank erzählt von sich verschiebenden kulturellen Vorstellungen von Subjekt und Objekt, von privat und öffentlich, von Geist und Körper, von Gemeinschaft und Individuum. Das Beispiel der Vitrine erzählt von einer zukünftigen, genossenschaftlich organisierten Gesellschaft, das Displaysystem und die Wanderausstellung von der kommenden globalen Informationsgesellschaft.

      Dies sind retrospektive Interpretationen von Designentscheidungen. Genauso sollte es umgekehrt möglich sein – doch das ist ungleich schwieriger – Design als Gesellschaftsentwurf zu praktizieren, also Designentscheidungen vor dem Hintergrund von gesellschaftlichen Fragestellungen zu treffen. Ein Möbelstück, eine Betrachersituation, eine Raumgestaltung kann Indikator und zugleich Instrument von sozialen Veränderungen sein. Ausstellungsdesign kann sich retrospektiv und zugleich projektiv äußern.

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